18.07.2011

Der Spezialist fürs Sterben ist ein Lebensbegleiter

Reportage der Woche aus dem Caritas Seniorenzentrum Haus am See in Neunkirchen/ Nahe – Saarbrücker Zeitung vom 16./17. Juli 2011: Warum David Fitzpatrick das Kloster verließ und Palliativ-Fachpfleger wurde.

Reportage der Woche – Saarbrücker Zeitung vom 16./17. Juli 2011

 

Von SZ-Redakteurin Cathrin Elss-Seringhaus

 

David Fitzpatrick verbrachte sieben Jahre im Kloster. Heute begleitet er kranke Menschen beim Sterben. Um ihnen einen „Abschied in Lebenszufriedenheit“ zu ermöglichen, besorgt er ihnen schon mal pürierten Lachs oder führt sie kurz vor dem Tod zum Spargelessen aus.

 

 

Saarbrücken/Nohfelden. Er hat es schwer, in privatem Rahmen. Wird David Fitzpatrick (42) nach seinem Beruf gefragt, hat er sich Folgendes zurechtgelegt: „Ich setze in einem Altenheim die Ideale der Hospizbewegung um.“ Das überfordere niemanden, meint er, und erkläre die Sache besser als die korrekte Bezeichnung „Fachpfleger für Schmerztherapie, Onkologie, Palliativmedizin und Hospizpflege“. Warum sagt er nicht, er sei Sterbegleiter? Weil eben das genau nicht stimmt seiner Ansicht nach. „Ich bin ein Lebensbegleiter“ – so steigt Fitzpatrick in unser Gespräch ein. Wir sitzen in seinem Büro im Caritas-Seniorenzentrum Haus am See in Nohfelden-Neunkirchen. Fitzpatrick leitet dort seit 2009 das vom Sozialministerium mitfinanzierte Modellprojekt „Palliative Care“. Er ist für die Aufgabe freigestellt, ein Kompetenzzentrum im Nordsaarland aufzubauen. Beispielgebend sollen Netzwerke aus Apotheken, Ärzten, Pflegediensten entstehen.

Im eigenen Caritas- Haus sorgt er für Weiterbildung. Fitzpatrick sagt: „Es gibt mehr als körperlich-medizinische Bedürfnisse. Es geht um pflegerische Kompetenzen, psychosoziale Betreuung, spirituelles Wissen.“ In keinem anderen Altenheim gebe es diese Funktion und Qualifikation. Fitzpatrick ist stolz auf seine Aufbau-Arbeit: „Das ganze Haus ist infiziert. Palliativ- Versorgung ist eine Haltung. Das muss man durch den Waschlappen spüren.“ Fitzpatrick sieht seine Aufgabe darin,

herauszufinden, „was bedeutet für jeden Einzelnen Lebensqualität und Lebensfreude?“ Erst kürzlich führte er eine alte Dame kurz vor ihrem Tod noch mal zum Spargelessen in ein schönes Restaurant. Oder er sorgt dafür, dass im Sterbeprozess bei der Mundpflege nicht die Standard-Zitrone-Wattestäbchen zum Einsatz kommen. Warum die Welt verlassen mit diesem „neutralen“ Geschmack? Beim Koch besorgt er schon mal pürierten Lachs oder Nutella: „Wir gehen ganz tief in die Biografie“, sagt er. Wo Verständigung noch möglich sei, werde Lebensrückschau gehalten: „Wir betonen

das Positive, um einen Abschied in Lebenszufriedenheit zu ermöglichen.“ Die Angehörigen-Betreuung nimmt einen großen Raum ein. Fitzpatrick erforscht Sorgen, Konflikte, Unterstützungs-Potenziale – und spendet Trost, etwa wenn über die Notfall-Vorausplanung besprochen wird: „Es fließen viele Tränen“. Warum tut man sich dies alles an: Krankheits-Leid und Trennungsschmerz? Aber so sei das doch gar nicht, wehrt Fitzpatrick ab: „Man geht stärker und freier daraus hervor.“ Mitunter ertappe er sich dabei, dass, er, wenn er abends nach Hause, nach Homburg, fahre, den gesamten Weg über „vor sich hingrinse“. Eine bizarre Abwehrreaktion? „Nein. Ich merke dann nach einem Todesfall: Wir haben alle unsere Versprechen gehalten. Das freut mich.“ Braucht er nicht doch mal kleine Fluchten, Entlastung? Ihm fällt nur das genüssliche „Sich-einfach- Fallenlassen“ beim Saunabesuch ein. Ein Hobby hat Fitzpatrick nicht. Man benötigt wohl eine besondere biografische und seelische Ausstattung, um das Berufsleben dem Sterben zu widmen.

 

Fitzpatricks Motivation findet sich in seiner ursprünglichen „Berufung“: Er wollte Priester werden, verbrachte sieben Jahre im Kloster. Dort habe er ältere Brüder gepflegt und dies als überraschend erfüllend erlebt, erinnert er sich. Geboren wurde er in Coventry, England, trat dort in den Orden der Redemptoristen ein, studierte Theologie und Philosophie, ging im Alter von 23 Jahren im Rahmen der Vorbereitung auf das Priesteramt in ein Kloster nach Heneff im Rheinland. Dort wuchsen Entfremdung und Zweifel gegenüber der Kirche. 1994 verließ Fitzpatrick den Orden, dann die Katholische Kirche, wechselte in die Krankenpflege – und ins Saarland, an die Uniklinik Homburg. Ein Mitbruder aus Remmesweiler – „Saarländer haben eine Nabelschnur aus Gummi“– „zog“ ihn mit. Mittlerweile ist Fitzpatrick in die Kirche zurückgekehrt. Während seiner Fachpfleger- Ausbildung entdeckte er seine Spiritualität neu: „Ich merkte, Seelsorge ist ein Teil von mir. Ich darf das wieder zulassen.“ Zuvor, bevor er sich für die Palliativ-Pflege entschied, hatte er sieben Jahre Intensivstation

hinter sich, „mechanisches Sterben ohne emotionale Beteiligung, sonst packt man das nicht“. Schon damals habe er immer wieder den Impuls erlebt und ihm auch nachgegeben, sich ans Sterbebett zu setzen. „Ich wurde gehänselt und belächelt: Da kommt wieder das Klostermännchen.“ 2007 hat Fitzpatrick dann seinen an Darmkrebs erkrankten Vater betreut. Sechs Monate pendelte er zwischen England und Deutschland, regelte mit seiner Schwester alles: Testament, medizinische Betreuung, persönlichen Beistand: „Damals lief das intuitiv. Ich wollte es auf fachliche Füße stellen“, sagt er.

Heute sorgt er für Enttabuisierung im Haus am See, das keine abgeschlossene Palliativstation hat. Die Menschen sterben dort, wo sie gelebt haben. Bestatter fahren nicht mehr hinter dem Haus vor, sondern nehmen den Weg durchs Foyer, tragen Särge dort, wenn nötig, auch mitten durch den Sitztanz- Kreis. Fitzpatrick lässt dann ein Vaterunser beten. Er ist sicher: „Wenn die Bewohner sehen, dass ein Mensch stirbt und wie schön wir damit umgehen, dann nimmt das die Angst.“ Und was ist mit seiner eigenen Todesfurcht? Fitzpatrick bringt einen Rembrandt-Druck herbei: „Die Rückkehr des verlorenen Sohnes“. Die Vaterfigur hat eine weibliche und männliche Hand, drückt den Knieenden an sich. „Es ist eine vertrauensvolle Rückkehr“, sagt Fitzpatrick. „Ein Ankommen und Beschütztsein

in friedlicher Vertrautheit.

 

HINTERGRUND

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Palliative Care (palliative Versorgung) steht für eine umfassende

Versorgung, die die körperlichen, psychischen, sozialen

und religiösen Bedürfnisse von Menschen berücksichtigt.

Im Mittelpunkt steht die Linderung von Schmerzen.

Die Fachpflege in der Schmerztherapie, Onkologie, Palliativmedizin

und im Hospiz ist eine zweijährige Weiterbildung

für Krankenpfleger (720 Stunden plus 1600 Stunden Praxis).

Sie wird von der Caritasklinik St. Theresia Saarbrücken in

Kooperation mit dem Uni-Klinikum in Homburg angeboten.

Bisher haben 89 Kräfte diese Weiterbildung absolviert.

Sterbegleiter sind ehrenamtlich tätig. Kenntnisse werden in

kostenlosen Pflegekursen (60 Stunden, 20 Stunden Praxis)

vermittelt und werden in jedem Landkreis und im Regionalverband

Saarbrücken von den Ambulanten Hospiz- und Beratungszentren

(AHPZ) angeboten. Im Jahr 2010 waren 537

ehrenamtliche Hospizhelfer im Einsatz. ce

Caritas Trägergesellschaft Saarbrücken mbH (cts) Rhönweg 6, D-66113 Saarbrücken